Auge in Auge mit dem Wolf
Statt eines üblichen Blogbeitrags möchte ich heute einmal von einer außergewöhnlichen Begegnung mit einem Wildtier berichten, die ich in diesem Winter hatte. Diese Gelegenheit möchte ich auch nutzen, um zu erläutern, wie wir bei Ibexa im Rahmen unserer Corporate-Responsibility-Bemühungen das Bewusstsein für die Wildtierproblematik in unseren wichtigsten europäischen Märkten fördern wollen.
Die Rückkehr des Wolfs in menschliche Lebensräume ist in ganz Europa Gegenstand politischer Kontroversen. Dies zeigt deutlich, wie komplex die Beziehung zwischen Mensch und Natur und Klima ist. Sollen wir die Umwelt um jeden Preis erhalten, selbst auf Kosten einer konjunkturellen Verlangsamung oder einer Zunahme des sozialen Gefälles? Sollen wir umgekehrt dem Menschen und seinem Lebensunterhalt Vorrang einräumen?
Seit den 1960er Jahren haben sich in Norwegen und Schweden und seit den 1990er Jahren auch in Frankreich und Deutschland wieder Wolfsrudel angesiedelt. Einzelne Wölfe wurden auch schon in Holland, Dänemark und sogar Luxemburg gesichtet. Nach Jahrhunderten der Verfolgung kehrt der Wolf in ganz Europa in bevölkerte Landschaften zurück, außer in Italien, wo er in den Bergen der Abruzzen immer einen sicheren Zufluchtsort fand. Das hatte historische Gründe, denn die Wölfin, die laut der Legende Romulus und Remus, die Gründer Roms, gerettet und gesäugt hatte, gilt als Symbol für die Anfänge der römischen Zivilisation.
Wie zu erwarten, beklagt sich die örtliche Bevölkerung Europas häufig über die Rückkehr wilder Wölfe, die aus Italien und Slowenien einwandern. Die Angst vor dem „bösen Wolf“ ist tief verwurzelt, wie Kindermärchen („Rotkäppchen“) und geflügelte Worte („to keep the wolf from the door“ (dt.: sich (gerade so) über Wasser halten) oder „homo homini lupus“ („der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“) belegen. Immerhin waren bis zum achtzehnten Jahrhundert Wölfe eine der Hauptursachen für die Kindersterblichkeit in Frankreich. Heutzutage kann ein einziges Tier Dutzende von Schafen auf einen Schlag zerfleischen und töten. Für die Landwirte bedeutet das großen Stress, auch wenn staatliche Subventionen den Verlust in der Regel ausgleichen.
Umgekehrt begrüßen Umweltschützer einhellig die Rückkehr des Wolfes: Er hilft zum Beispiel, die Wildtierbestände zu stabilisieren. Denn wenn sie nicht kontrolliert werden, vermehren sich Rehe, Hirsche und Wildschweine in Wäldern und auf landwirtschaftlichen Flächen, zerstören junge Bäume und künftige Ernten und hinterlassen das Land oft völlig unbrauchbar und kahl. Ganz allgemein sind Wissenschaftler der Ansicht, dass die beste Art und Weise, wilde Tiere und Pflanzen zu regulieren, darin besteht, sie sich selbst regulieren zu lassen (siehe „Thinking like a mountain“ (dt.: Denken wie ein Berg) von Aldo Leopold).
Schon immer fühlte ich mich mit der Natur verbunden und bin auf Wanderungen oft zufällig wilden Tieren begegnet: wilden Büffeln, Antilopen und Nashörnern im Krüger-Nationalpark in Südafrika oder wilden Bisons und Grizzlys in den Yellowstone-, Yosemite- und Glacier-Nationalparks in Nordamerika. Nichts davon kam jedoch an meinen Schreck und meine Ehrfurcht heran, als ich in den Vercors-Bergen in Frankreich einem wilden Wolf begegnete.
Es war im Winter 2020 im (erneuten) Lockdown nach Weihnachten. Meine Familie hatte ein abgelegenes Chalet am Rande des Vercors-Nationalparks gemietet, einem der größten unberührten Gebiete Frankreichs. In diesem Park hat ASPAS, ein Verein zum Schutz wilder Tiere, seinen Sitz.
Das nahegelegene Skigebiet Villard war vorbereitet, dann aber unangetastet gelassen und wegen des Lockdowns geschlossen worden. Wir kamen uns vor wie in einer Geisterstadt: Hütten, Lifte, Einrichtungen – alles stand still, war menschenleer und wirkte schon fast verfallen. Die Entscheidung fiel uns leicht: Wir würden mit Robbenfellen, die wir für den Anstieg an den Skiern befestigen, in die Berge fahren und sie für die Abfahrt abnehmen.
Nach drei Stunden bergauf kamen wir an der Spitze des Skigebiets an. Als aufgeweckte Teenager konnten meine Söhne es nicht abwarten und stürzten sich sofort ins Abfahrtsrennen. Sie waren nur deshalb mühsam nach oben geklettert – und ahnten ja nicht, was sie verpassen würden!
Ich blieb eine Weile auf dem Gipfel und genoss den Panoramablick auf zwei Berge: die Alpen im Westen und das Zentralmassiv im Osten. Es war so überwältigend und schön, dass ich die Dämmerung nicht kommen sah.
Wenn es auf dem Gipfel dämmert, ist es im Tal bereits dunkel und höchste Zeit zu gehen. Als ich wegen der unpräparierten Piste langsam loslief, merkte ich plötzlich, dass ich nicht allein war. Ein großer grauer Wolf rannte parallel neben mir (nicht hinter mir her, denn ich bin immer noch hier, um die Geschichte zu erzählen) auf der Graspiste. Ich war mir erst nicht sicher, ob es wirklich ein Wolf war, bis er auf etwa zwanzig Meter an mich herankam. Ich hatte kaum eine Chance, ihn auf der rauen Piste zu überholen. Also beobachtete ich ihn schweigend und wagte es nicht, ein Foto zu machen, da ich befürchtete, es könnte mein letztes sein.
Was mich an wilden Tieren beeindruckt und erstaunt, ist, wie sie der Schwerkraft trotzen: Ihre Körperdynamik unterscheidet sich deutlich von der zahmer Tiere oder Menschen. In freier Wildbahn habe ich gesehen, wie sich Giraffen bei Bedrohung in Sekundenbruchteilen in Bewegung setzen, wie untätige Bisons plötzlich über einen zwei Meter hohen Zaun springen, wie Antilopenherden in Minutenschnelle Berge erklimmen und wie Bergziegen über fast senkrechte Klippen laufen.
Ich war schockiert und, um ehrlich zu sein, erschrocken wegen dieser überraschenden Begegnung, aber auch wegen der Größe und Geschwindigkeit des Wolfs. Er war weit größer als jeder Hund, den ich kenne. Bei jedem Sprung legte er nicht weniger als drei Meter zurück. Während er bergab lief, entstanden diese anmutigen und kraftvollen Wellen, die sich vom Kopf bis zum Schwanz erstreckten und einen wunderbar effizienten Schwung erzeugten. Kein Wunder, dass eine so hoch entwickelte Spezies täglich vierzig Kilometer umherwandern kann, um zu jagen und sich zu paaren. Ich dachte sofort: Was für ein Biest!
Meine Söhne machen sich oft über mich lustig, wenn ich ihnen die Geschichte erzähle, aber in diesem Moment fühlte ich mich sowohl unglaublich glücklich als auch unglaublich zerbrechlich. „Bin ich wirklich dieser Typ, der allein in den Bergen ist und neben dem ein großer wilder Wolf herläuft?“ Es dauerte nur etwa zwanzig Sekunden, aber es hat mich wirklich beeindruckt und mich dazu angeregt, mehr über die Geschichte und den natürlichen Lebensraum der Wölfe herauszufinden.
Heute bewundere ich Wölfe zutiefst und lasse mich von ihnen inspirieren. Sie sind sehr soziale Tiere, denn ihre Überlebenschancen sind im Rudel viel höher als allein. Dennoch verlassen sie unter Umständen die Sicherheit eines Rudels, um ihre eigene Familie zu gründen und neue Territorien zu erschließen, wie wir jetzt in ganz Europa beobachten können. Sie sind auch ein Beispiel für Widerstandsfähigkeit: So erfuhr ich im Yellowstone die inspirierende Geschichte von Limpy, einem hinkenden Wolf, der trotz seines gebrochenen Beins überlebte, jagte und sogar ein Rudel anführte.
Ich bin fassungslos über das Ausmaß des vom Menschen verursachten Artensterbens und seine verheerenden Folgen für die Umwelt. In den letzten Jahrtausenden wurden 57 der 80 größten wilden Tierarten (über 400 kg) ausgerottet (siehe Aussterben der Megafauna), wobei das Wollhaarmammut das wohl bekannteste Beispiel ist. Historikern zufolge sind menschliche Einflüsse („Overkill“) eine der möglichen Erklärungen für dieses Massenaussterben.
Es ist noch nicht zu spät, sich für das Wohl der Wildtiere einzusetzen, zum Beispiel durch die Unterstützung von Vereinigungen wie ASPAS, die Flächen in der freien Natur (eine seltene Ressource in vielen europäischen Ländern) für den Erhalt von Wildtieren kaufen und schützen.
Wenn Sie mehr über das Engagement von Ibexa zum Schutz von wilden oder ausgewilderten Tieren erfahren möchten, besuchen Sie bitte unsere Corporate-Responsibility-Seite.